In dem Ermittlungsverfahren gegen den Gründer von "Querdenken-711", Michael Ballweg, haben seine Verteidiger jetzt Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie kritisieren darin unter anderem die Ermittlungen der Polizei und die Dauer der Untersuchungshaft sowie weitere mögliche Verfahrensfehler. Seit fast acht Monaten sitzt der 48-jährige frühere Stuttgarter IT-Unternehmer in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart wirft ihm versuchten Betrug vor: Er soll Geld, das ihm zur Organisation von Demonstrationen anvertraut wurde, zumindest teilweise für private Zwecke ausgegeben haben.
Am Sonntag haben rund 1.300 Menschen vor der Justizvollzugsanstalt in Stuttgart-Stammheim für die Freilassung von Michael Ballweg demonstriert:
"Querdenken"-Gründer: knapp 1,3 Millionen Euro von Unterstützern
Von Juni 2020 bis Februar 2023 hatten laut Staatsanwaltschaft Stuttgart gut 10.000 Personen einen Gesamtbetrag von knapp 1,3 Millionen Euro an "Querdenken-711" überwiesen. Michael Ballweg habe große Beträge davon nicht für die angebenen Zwecke verwendet. So lautete der Vorwurf zunächst auf gewerbsmäßigen Betrug sowie Geldwäsche.
Waren die Schenkungen zweckgebunden für Corona-Demos?
Ballwegs Anwälte gehen von seiner Unschuld aus. Es habe keinen Betrug gegeben, denn die Geldgeschenke der "Querdenken"-Unterstützerinnen und -Unterstützer seien nicht zweckgebunden gewesen. Daher läge selbst dann kein Betrug vor, wenn Ballweg tatsächlich einen Teil des Geldes privat verwendet hätte, so ihre Argumentation. Sie verweisen auf das Ergebnis einer Zeugenbefragung der Polizei Stuttgart. Diese hat im Oktober 2022 rund 1.000 Personen angeschrieben und gebeten darzulegen, von welcher Verwendung sie für ihre Schenkung ausgegangen waren.
Laut Ermittlungsunterlagen beantworteten mehr als 650 der Angeschriebenen die offen gestellten Fragen. Knapp 200 seien davon ausgegangen, dass ihr Geld für die Durchführung von Demonstrationen verwendet wurde. Ein Teil von ihnen habe eine private Nutzung des Geldes ausgeschlossen. Gut 400 Befragte aber hätten angegeben, Michael Ballweg persönlich unterstützen zu wollen und ihm deshalb freie Hand bei der Verwendung des Geldes gewährt.
Nach acht Monaten Gefängnis Ballweg: Verfassungsbeschwerde wegen langer U-Haft
Ballwegs Anwälte kritisieren mögliche Fehler im Ermittlungsverfahren. Dem Gründer der Corona-Protestgruppe "Querdenken-711" werden versuchter Betrug und Geldwäsche vorgeworfen.
Neuer Haftbefehl im November: Nur noch versuchter Betrug
Das Ergebnis der Zeugenbefragung ging in einen neuen Haftbefehl ein, den das Oberlandesgericht Stuttgart am 14. November 2022 ausstellte, nachdem Ballwegs Verteidiger eine Haftbeschwerde eingelegt hatten. Laut dem Papier, das dem SWR vorliegt, gehen die Ermittler nach der Zeugenbefragung von einem Betrag von gut 180.000 Euro aus, der Ballweg ohne Zweckbindung geschenkt wurde. Dem standen zu diesem Zeitpunkt mutmaßlich private Ausgaben von knapp 150.000 Euro gegenüber.
Für die Ermittelnden steht jedenfalls fest: Selbst wenn sich ein großer Teil der Schenkerinnen und Schenker nicht betrogen fühlen sollte, könnte Ballweg trotzdem die Absicht verfolgt haben, diese zu betrügen. Auch der Versuch kann strafbar sein. Der neue Haftbefehl des Oberlandesgerichts rückte denn auch vom Vorwurf des Betrugs ab - nun wird wegen versuchten Betrugs gegen Michael Ballweg ermittelt.
Ballweg-Verteidiger fordern sofortige Freilassung aus U-Haft
Den Vorwurf des versuchten Betrugs kann einer der Ballweg-Verteidiger, der Stuttgarter Rechtsanwalt und CDU-Landtagsabgeordnete Reinhard Löffler, nicht nachvollziehen. Dem SWR berichtete er nach einem längeren Besuch bei Michael Ballweg, dieser habe mittlerweile die Bilanzen von "Querdenken-711" soweit nachvollzogen, dass nur noch ein Betrag von 6.000 Euro offen bleibe, dessen Herkunft und Verbleib unklar seien. Löffler forderte die sofortige Freilassung seines Mandanten aus der U-Haft. Die Staatsanwaltschaft äußert sich dazu derzeit nicht und verweist auf das laufende Ermittlungeverfahren.
Verfassungsbeschwerde wegen möglicher Verfahrensfehler
Löffler hat Ballweg am 11. Januar 2023 zu einem Haftprüfungstermin begleitet. Dabei habe ihn "irritiert, dass der Herr Ballweg nicht zu Wort kam", sagte er dem SWR. Auch der Rechtsanwalt Ralf Ludwig aus Sachsen-Anhalt moniert Verfahrensfehler. In der Verfassungsbeschwerde beklagt Ludwig unter anderem, dass der zweite Haftbefehl am 14. November 2022 erlassen, dem Beschuldigten aber erst am 29. November 2022 eröffnet wurde. Bei diesem Haftverkündungstermin sei Michael Ballwegs Vortrag zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen durch den Richter abgebrochen worden. Zugleich habe sich der Richter geweigert, weitere Zeugen zu vernehmen und entlastende Dokumente entgegenzunehmen. Das Amtsgericht Stuttgart wollte diese Darstellung wegen des laufenden Verfahrens nicht kommentieren.